Das Mehrebenenmodell

Das Mehrebenenmodell des Lesens

Das didaktisch ausgerichtete Mehrebenenmodell des Lesens von Cornelia Rosebrock und Daniel Nix (2020) bietet einen ganzheitlichen Blick auf Lesekompetenz, indem es neben kognitiven auch subjektiv-persönliche und soziale Faktoren berücksichtigt. Das Modell umfasst drei Ebenen, die miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig beeinflussen.

Prozessebene

Die Prozessebene umfasst die kognitiven Prozesse des Textverstehens, die von den emotional-motivationalen Aspekten beeinflusst werden. Die kognitiven Prozesse, die das Leseverstehen und die Leseflüssigkeit umfassen, bedingen sich gegenseitig: nur wer flüssig lesen kann, kann verstehend lesen. Der Leseprozess umfasst neben der Decodierung, d.h. der Verarbeitung des Gelesenen und der Generierung von Bedeutung auch das Verstehen.

Die Teilfähigkeiten der Prozessebene umfassen die sog. hierarchieniedrigen und hierarchiehohen Prozesse. Wobei die Bezeichnungen keine Wertung implizieren. Hierarchieniedrige Prozesse finden auf Wort- und Satzebene statt und umfassen die Teilfähigkeiten der Leseflüssigkeit: Lesegenauigkeit, Lesegeschwindigkeit, Automatisierung von Wort- und Buchstabenerkennung sowie Prosodie. Hierarchiehohe Prozesse umfassen das Verständnis und das Herstellen des Gesamtzusammenhangs auf Textebene.

Subjektebene

Die Subjektebene umfasst sowohl die Motivation der Leserinnen und Leser als auch die Emotionen, die dem Gelesenen entgegengebracht werden. Dabei sind die Reflexion des Gelesenen, das in Bezug setzen zum eigen Vor- und Weltwissen und die individuelle Positionierung zum Inhalt des Textes zentral. Positive und negative Erfahrungen, die ein Leser oder eine Leserin mit Texten macht, beeinflussen die Einstellung zum Lesen, die Lesemotivation und das Leseselbstkonzept. Bei negativen Erfahrungen besteht die Gefahr in einen Teufelskreis des Nichtlesens zu geraten. Diesen gilt es durch Diagnose und Förderung zu durchbrechen, besser noch: zu vermeiden.

Soziale Ebene                                                                                                                 

Die soziale Ebene beschreibt die Rolle der Anschlusskommunikation und Lesesozialisation. Die Lesesozialisationsforschung zeigt, dass das individuelle soziale Umfeld starken Einfluss auf die Haltung gegenüber dem Lesen, das Interesse an Büchern (sowohl Sachbücher als auch erzählender Literatur) und (digitalen) Texten hat.

Lesesozialisation meint einen lebenslangen Prozess, der im frühen Kindesalter beginnt und die Entwicklung zu (habituellen) Lesenden beschreibt. Einflussfaktoren sind Familie, Bildungseinrichtungen, Peers sowie persönliche und auch kulturelle Kontexte.

 

Quellen:

Garbe, C. (2022). Lesekompetenz – Lesesozialisation – Leseförderung. In U. Abraham & T. Becker (Hrsg.), Basiswissen Lehrerbildung: Deutsch unterrichten (1. Auflage, S. 106–124). Klett Kallmeyer.

Rosebrock, Cornelia & Nix, Daniel (2020). Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung. 9. aktual. Auflage. Schneider-Verlag Hohengehren